Auswertung unserer Aktionen 2023

Als Organisator*innen der diesjährigen Gedenkkundgebung und Demonstration am 84.Jahrestag der Novemberpogrome in Moabit stellen wir fest: Selten konnten wir im Vorfeld so viel Öffentlichkeit für unser Anliegen herstellen. Seit über 20 Jahren haben nicht mehr so viele Menschen an unserem Gedenken teilgenommen. Das lag sicherlich an dem von der Hamas und ihren Verbündeten angerichteten Massaker vom 7. Oktober in Israel und der anschließenden internationalen Welle antisemitischer Äußerungen und Vorfälle, die auch in Berlin und Deutschland spürbar war. Viele Menschen fühlten sich aufgerufen, dagegen Position zu beziehen .

Leider kam es am Rande der Demonstration mehrfach zu gewalttätigen Angriffen.

Im Vorfeld veranstalteten zwei Mitgliedsgruppen unseres Bündnisses eine Lesung mit Philipp Dinkelaker zur ehemaligen Synagoge in der Levetzowstraße in Berlin-Moabit und ein Gespräch mit Nicholas Potter und Stefan Lauer, den Herausgebern des Buches „Judenhass Underground“ zu Antisemitismus in linken Subkulturen, die jeweils gut besucht waren. Zudem wurden etliche Flyer und Plakate in Umlauf gebracht. Nach mehreren Jahren Pause produzierten und verteilten wir außerdem eine Broschüre. Darin wurden die Themen des Aufrufs und der Mobilisierung etwas ausführlicher beleuchtet. Sie kann auf unserer Internetseite heruntergeladen werden.

In den sozialen Medien und auf unserer Internetseite 9november.blackblogs.org fanden unsere Beiträge reges Interesse. Vor allem in den letzten Tagen vor der Demonstration war unsere Mobilisierung breit wahrnehmbar. Seinen Teil trug dazu auch der Club ://about blank bei, der mit einem eigenen Beitrag zur Demonstration mobilisierte. Vielen Dank dafür.

Mit etwas Verspätung begann am Tag selber unsere Gedenkkundgebung kurz nach 18 Uhr am Mahnmal Levetzowstraße mit den Klängen der Band Zhetva. Im Folgenden verlasen die Moderator*innen den Aufruf und einen Beitrag des Bündnisses zum Massaker am 7. Oktober in Israel. Anschließend kamen der Überlebende der Shoah Kurt Hillmann (stellvertretend vorgetragen von Jutta Harnisch) und die Nachkommin einer Shoah-Überlebenden Eva Nickel zu Wort und teilten ihre Perspektive auf die damaligen Ereignisse sowie heutige Formen der Ausgrenzung und Diskriminierung.

Nach einer starken Rede der sozialistischen Jugendgruppe Hashomer Hatzair und einem Beitrag zum antisemitischen Scheunenviertelpogrom von 1923 leitete der Chor KMC mit mehreren Liedern zur antifaschistischen Demonstration über.

Diese zog über die Turmstraße zum Deportationsdenkmal an der Beusselstraße. Auf dem Weg dorthin wurde ein Grußwort der Halle-Überlebenden und Nebenklägerin Naomi Henkel-Gümbel verlesen. In Redebeiträgen der Berliner VVN-BdA, EAG und ANA wurde auf den Antisemitismus in der AfD und in anderen gesellschaftlichen Bereichen, darunter auch in linken Kreisen, Bezug genommen und dieser kritisiert.

Das letzte Stück der Demonstration, der Weg auf die Brücke, legten wir schweigend zurück, bevor am Denkmal ein Kaddisch, das jüdische Totengebet, gesprochen wurde. Um kurz nach 21 Uhr war die Demonstration zu Ende.

Während in den letzten Jahren jeweils etwa 600 Menschen an unseren Aktivitäten teilnahmen, waren es in diesem Jahr mehr als 2.000 Menschen. Die Steigerung hatte unserer Einschätzung nach zum einen mit der derzeitigen Präsenz des Themas Antisemitismus in der Öffentlichkeit zu tun. Viele der Teilnehmenden suchten nach einer Möglichkeit, dazu aktiv Stellung zu beziehen. Zum anderen bekam die Veranstaltung nach einer Bedrohung eines Plakatierers eine größere (Presse)Öffentlichkeit als sonst üblich. In den sozialen Medien warben viele Menschen für unsere Veranstaltung.

Langjährige Begleiter*innen und Organisator*innen der 9. November-Demonstration in Moabit schätzten, dass letztmalig im Jahr 2000 – dem Jahr des sog. Antifa-Sommers – so viele Menschen teilnahmen. Dass es so viel Interesse an unserer Veranstaltung gab, lässt uns hoffen und gibt uns Kraft.

Aufgrund der Auseinandersetzungen mit antizionistischen Störversuchen im Vorjahr und der angespannten Stimmung im Kontext des Kriegs zwischen Israel und der Terrororganisation Hamas wurden in diesem Jahr deutlich intensivere Sicherheitsvorkehrungen im Bezug auf die Demonstration getroffen.

Diese konnten natürlich nicht verhindern, dass ein Plakatierer im Vorfeld bedroht und mit holocaustverharmlosenden Äußerungen bedacht wurde.

Am Tag selber blieb es, bis auf wenige Zwischenfälle, vergleichsweise ruhig. An mehreren Ecken wurden der Demonstration „Free Gaza“/“Free Palestine“-Parolen entgegen gerufen. Schwerer wiegen die Angriffe auf Demonstrationsteilnehmende. So wurden mehrere Eier in die Demonstration geworfen. Ein*e Teilnehmer*in wurde durch einen aus einem Fenster geworfenen Stein an der Schulter getroffen. Diese Angriffe hätten zu ernsten Verletzungen führen können. Sie zeigen, dass das notwendige öffentliche Eintreten gegen Antisemitismus weiterhin riskant ist und Schutzmaßnahmen weiterhin notwendig sind.

Wir bedanken uns bei allen, die auf ihre Weise an der Organisation und Umsetzung der Kundgebung und Demonstration beteiligt waren. Wir sehen uns im nächsten Jahr.