„Dann kam die ‚Kristallnacht’. Niemand wusste was Genaues … wir wussten, sie würden irgendetwas tun, aber dass es annähernd so etwas geben würde wie die ‚Kristallnacht’, hatte man sich in seinen schlimmsten Träumen nicht vorstellen können. Es war schrecklich. Die Situation veränderte sich von einem Moment zum Nächsten.”
Benjamin Sommer, Yad Vashem Archiv VD 1366.
Am 9. November 1938 fanden die Novemberpogrome ihren Höhepunkt. Im deutschen Herrschaftsbereich wurden Jüdinnen*Juden vergewaltigt, inhaftiert, verschleppt und ermordet. Jüdische Geschäfte, Wohnungen, Gemeindehäuser und Synagogen wurden geplündert, zerstört und in Brand gesetzt. Auf den Straßen entfesselte sich der deutsche antisemitische Terror, der in der Nacht staatlich angestoßen und orchestriert wurde. SA und SS führten unterstützt durch Polizei und Feuerwehr die Morde, Brandstiftungen und Verwüstungen an. Die nicht-jüdische Bevölkerung beteiligte sich an dem Pogrom oder stimmte mit ihrem Schweigen zu. Insgesamt wurden in den Tagen um den 9. November 1.300 Jüdinnen*Juden ermordet, über die Hälfte der Gebetshäuser und Synagogen in Deutschland, Österreich und dem annektierten Sudetenland wurden zerstört. Ab dem 10. November erfolgte die Deportation von 30.000 Jüdinnen*Juden in Konzentrationslager. Die Pogrome waren Wegbereiter für die Shoah.
Gedenken braucht den Angriff auf die herrschenden Verhältnisse
Fast täglich werden in Deutschland antisemitische Übergriffe gemeldet. Die Spitze des Eisbergs stellen hierbei der rechtsextreme Terroranschlag auf die Synagoge in Halle (Saale) am Jom Kippur 2019 mit zwei Toten, der Brandanschlag auf die Kneipe “Morgen wird besser” in Berlin-Lichtenberg im August 2020 und der Angriff mit einem Spaten auf einen Besucher einer Synagoge in Hamburg zum Laubhüttenfest im Oktober diesen Jahres dar. Hinzu kommen etliche alltägliche antisemitische Äußerungen und Anfeindungen, die häufig unbeachtet bleiben.
Demgegenüber lautet die deutsche Selbsterzählung Antisemitismus existiere nur in historischer Form oder als importiertes Phänomen. Eine tatsächliche Aufarbeitung der Verbrechen und die daraus resultierende Veränderung der gesellschaftlichen Verhältnisse, die den Nationalsozialismus hervorgebracht haben, hat es nie gegeben. Die ermordeten Jüdinnen*Juden dienen den Deutschen lediglich als Fundament einer neuen nationalen Selbstvergewisserung und dem Gewinn der Erinnerungsweltmeisterschaft.
Die Coronapandemie hat den antisemitischen und verschwörungsideologischen Bodensatz der deutschen Gesellschaft hochgespült – was vorher im kleinen Kreis gedacht wurde, wird inzwischen aggressiv auf die Straße getragen.
Dagegen stellen wir ein antifaschistisches Gedenken, das Erinnerung und gegenwärtige Gefahr autoritärer Strukturen zusammendenkt. Unser Gedenken heißt:
– Solidarität mit allen von Antisemitismus Betroffenen
– Solidarität mit Israel
– Keine Versöhnung mit Deutschland
– Gegen jeden Antisemitismus
Gedenken in Zeiten der Pandemie
Wir wollen in unserem gemeinsamen antifaschistischen Gedenken, Handeln und Eingreifen nicht müde werden und auch dieses Jahr auf die Straße gehen! Daher werden wir dieses Jahr ausschließlich eine Kundgebung veranstalten. Weitere Informationen und Hintergründe findet ihr auch in unserer Broschüre und unter 9november.blogsport.eu
Kundgebung
9. November 2020, 18.30 Uhr, Mahnmal Levetzowstraße, Berlin-Moabit
Material:
Termine: Dezentrales Gedenken
09. November | 18.30 Uhr
Antifaschistische Kundgebung in Gedenken an die Novemberpogrome 1938
Mahnmal Levetzowstraße (Berlin-Moabit)
Gedenken in Zeiten der Pandemie
Wir wollen in unserem gemeinsamen antifaschistischen Gedenken, Handeln und Eingreifen nicht müde werden und auch dieses Jahr auf die Straße gehen! Daher werden wir dieses Jahr ausschließlich eine Kundgebung veranstalten auf der es ein Hygiene- und Abstandskonzept gibt. Wir haben gebeten uns ein weitläufigeres Areal für die Kundgebung zu gestatten. Zudem gilt auf unserer Veranstaltung gilt Maskenpflicht!
Fühlt euch herzlich eingeladen aber bitte keineswegs verpflichtet zu unserer Kundgebung zu kommen. Nutzt auch Möglichkeiten und Ideen zum dezentralen und individuellen Gedenken.
In Berlin gibt es zahlreiche Orte, die an die Verfolgung, Verschleppung und Ermordung erinnern. In vielen Bezirken der Stadt haben sich Gruppen und Initiativen gegründet, die die Erinnerung wach halten, Geschichten recherchiert haben und sie in Form von Rundgängen, Tafeln oder auch digital sichtbar machen. Als Anregung für individuelle und dezentrale Spaziergänge, wollen wir euch beispielhaft einige hier nennen:
*Stolpersteine in Berlin:*
Auf der Homepage findet ihr eine Karte sowie die Adressen und weitere Informationen zu den über 8000 verlegten Stolpersteinen in ganz Berlin.
*Hohenschönhausen:*
Weitere Publikationen der Geschichtswerkstatt behandeln das Jüdische Leben in Hohenschönhausen.
*Hohenschönhausen:*
Und auch für Hohenschönhausen gibt es eine Tour zu Verfolgung & Widerstand in Hohenschönhausen.
*Lichtenberg, Karlshorst und Hohenschönhausen*:
In der Broschüre Auf den Spuren jüdischen Lebens in Lichtenberg des Antifaschistischen Jugendbündnis ALKALIJ findet ihr drei Rundgänge durch Lichtenberg, Karlshorst und Hohenschönhausen.
*Lichtenberg:*
Bei der Geschichtswerkstatt Lichtenberg findet ihr „historische Geocaches“ zu jüdischen Leben in Lichtenberg.
*Lichtenberg:*
Ebenfalls von der Lichtenberger Geschichtswerkstatt stammt der Rundgang zu Verfolgung & Widerstand in Lichtenberg.
*Moabit:*
Erst kürzlich vorgestellt wurde der Audiowalk der Initiative Ihr letzer Weg, der quer durch Moabit führt.
*Pankow:*
Bei der VVN-BdA Pankow findet ihr eine Zusammenstellung mit Gedenkzeichen für jüdische Bewohner*innen und Einrichtungen in Pankow.
*Prenzlauer Berg:*
Das Museum Pankow und der AK Historisch-politische Bildung bieten sowohl eine Karte zu Jüdische Geschichte(n) in Prenzlauer Berg an und gleichzeitig einen dazugehörigen Audiorundgang.
*Schöneberg:*
In Schöneberg findet ihr den Audiowalk „Auf den Spuren jüdischer Nachbarn in Berlin“.
Ebenfalls in Schöneberg befindet sich das dezentralisierte Denkmal Orte des Erinnerns im Bayerischen Viertel. Zu dieser Installation hatten auch unsere Genoss*innen der jüdisch – queerfeministisch – linksradikalen Gruppe Latkes*Berlin bereits einen kritischen Redebeitrag auf einer der jährlichen Demonstrationen zum 9. November gehalten.