am helllichten Tag und unter aller Augen…
Die Gewalt der Pogrome vom 7. bis 13. November 1938 fand am 9. November ihren vorläufigen Höhepunkt. Überall in Deutschland und Österreich brannten die Synagogen, jüdische Geschäfte und Wohnungen wurden überfallen, demoliert und geplündert. Deutsche Antisemit*innen demütigten, schlugen, vergewaltigten und ermordeten Jüdinnen*Juden. Etwa 30.000 Männer wurden verhaftet und in die Konzentrationslager Buchenwald, Dachau und Sachsenhausen verschleppt. Die Pogrome stellten eine weitere, entscheidende Radikalisierung der antijüdischen Politik des NS-Regimes dar. Bereits zuvor hatten die Nazis die deutschen Jüdinnen*Juden Schritt für Schritt aus der Gesellschaft ausgegrenzt. Nach dem November 1938 wurde die antisemitische Politik immer gewalttätiger und gipfelte letztlich in dem Versuch, alle Jüdinnen*Juden Europas zu vernichten. Bis 1945 hatten die Nazis sechs Millionen Jüd*innen ermordet.
Das Bündnis zum Gedenken an den 9. November hat es sich seit 1990 zur Aufgabe gemacht, den Tag nicht dem Vergessen anheimfallen zu lassen. Auch in diesem Jahr rufen wir zu einer Gedenkkundgebung am Mahnmal an der ehemaligen Synagoge in der Levetzowstraße in Moabit auf. Anschließend wird eine antifaschistische Demonstration durch Moabit führen und am heutigen S-Bahnhof Westhafen enden, wo vor 71 Jahren Jüdinnen*Juden in Konzentrationslager deportiert wurden. Wir wehren uns gegen alle Versuche, das Gedenken an die Novemberpogrome zu übertönen, wie dies von den deutschtümelnden Festivitäten zum 30-jährigen Mauerfall-Jubiläum zu erwarten ist.
Unsere antifaschistische Praxis erschöpft sich nicht im Gedenken, sondern ist immer auch auf heute gerichtet. Alle Vergleiche mit aktuellen Zuständen wirken im Angesicht des Grauens der Novemberpogrome wie Hohn. Dennoch: Es sind immer noch Menschen in Berlin von rechter Gewalt betroffen. Diese sind nicht mit dem Verweis auf das Unvergleichbare zu relativieren.
Antisemitismus, Rassismus und Nationalismus gehören in Deutschland keineswegs der Vergangenheit an. Auch heute werden in Berlin Jüdinnen*Juden auf offener Straße beschimpft und angegriffen. Den Betroffenen gilt unsere Solidarität.
Kommt zur
Gedenkkundgebung und Demonstration
9. November 2019 | 17.00 Uhr | Mahnmal Levetzowstraße | Moabit
Material:
Plakat
Termine:
10. Oktober | 20.00 Uhr
Vortrag: Die NS-Verfolgung lesbischer Frauen* & der Kampf um Anerkennung
Sexuelle Handlungen zwischen Frauen* waren im Nationalsozialismus nicht per Gesetz verboten. Dennoch waren frauen*liebende Frauen* (und solche, die dafür gehalten wurden) einer Diskriminierung und Verfolgung ausgesetzt, die im engen Zusammenhang mit der nationalsozialistischen Geschlechter- und Sexualpolitik stand.
Die Verfolgungsgeschichte und das Leiden dieser Opfergruppe sind im bundesdeutschen Erinnerungsdiskurs auch heute noch weitgehend unsichtbar. Eine Initiative für eine Gedenkkugel zur Erinnerung an die lesbischen NS-Opfer in der Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück wurde jahrelang mit der Begründung abgewehrt, diese seien nicht systematisch als Homosexuelle verfolgt worden.
Bei dem Vortrag wird der Kampf um ein würdiges Erinnern anhand der Debatte um die Gedenkkugel in Ravensbrück nachgezeichnet. Auch die Lebensrealitäten und Verfolgungssituation(en) lesbischer Frauen* im Kontext der NS-Sexualpolitik werden betrachtet. Ein besonderes Augenmerk gilt jenen Faktoren, die dazu führten, dass lesbischer Sex nicht in das Strafgesetzbuch aufgenommen wurde und den Kontinuitäten des unsichtbar-machens weiblicher (Homo-)Sexualität.
Die Veranstaltung findet im Rahmen des Tresens der Autonomen Neuköllner Antifa statt.
Projektraum H48, Hermannstr. 48 (Berlin-Neukölln)
14. November | 19.00 Uhr
Ruth Steindling, Claudia Erdheim:
Vilma Steindling. Eine jüdische Kommunistin im Widerstand
Buchpräsentation und Gespräch mit Ruth Steindling
Vom Waisenkind zur Widerstandskämpferin
Mit acht Jahren kommt Vilma Steindling ins jüdische Waisenhaus im Wiener 19. Bezirk. Schon mit 16 Jahren politisiert sie sich und tritt in den Kommunistischen Jugendverband ein. 1937 folgt die junge Frau ihrem Lebensgefährten Arthur Kreindel nach Paris, denn im austrofaschistischen »Ständestaat« unter Kurt Schuschnigg sind die KP und der KJV verboten.
Nach der Besetzung Frankreichs durch Hitlerdeutschland engagiert sie sich in der sogenannten »Mädelarbeit« der Résistance. Als sie 1942 denunziert und verhaftet wird, wird sie ins KZ Auschwitz überstellt. Sie überlebt den Todesmarsch ins KZ Ravensbrück, wo sie vom schwedischen Roten Kreuz befreit wird. Im Herbst 1945 kehrt Vilma nach Wien zurück und erfährt erst jetzt, dass ihr Lebensgefährte Arthur in Dachau ermordet worden ist. Gibt es für sie ein Leben danach? Ein Leben nach Ausschwitz? Vilma ist nun völlig auf sich gestellt, obdachlos und ohne Arbeit. Sie sucht Hilfe bei dem einzigen ihr möglich erscheinenden Zufluchtsort, der Kommunistischen Partei, wird jedoch herb enttäuscht. Nach und nach beginnt sie, ihre politische Überzeugung zu hinterfragen.1968 nach dem Einmarsch der Sowjets in die Tschechoslowakei tritt sie enttäuscht aus der Partei aus.
Dieses Buch zeichnet den Lebensweg einer mutigen Frau nach, die für ihre Ideale ihr Leben aufs Spiel setzte und die trotz schwerwiegender Traumatisierungen wieder zurück ins Leben fand. Über das Leid, das sie erfahren hatte, sprach sie wenig. Welche Folgen das für ihre Kinder und Enkelkinder hatte, auch damit setzen sich die Autorinnen in sehr persönlichen Zugängen auseinander.
Ruth Steindling absolvierte in Wien das Lehramt in Romanistik. Sie unterrichtete an Gymnasien in Wien und Nizza, war als Deutschlektorin an den Universitäten Brest, Cremona und Mailand sowie als freie Übersetzerin im In- und Ausland tätig.
Ruth Steindling, Claudia Erdheim: Vilma Steindling. Eine jüdische Kommunistin im Widerstand. Mit einem Nachwort von Anton Pelinka. 223 Seiten, Amalthea, Wien 2017 EUR 25,00
Siehe auch:
ÖsterreicherInnen im KZ Ravensbrück:
http://www.ravensbrueckerinnen.at/?page_id=6526
Café Sibylle | Karl-Marx-Allee 72 | 10243 Berlin Friedrichshain
Die Berliner VVN-BdA hat die Autorin eingeladen.
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16. November | 11.30 Uhr
Führung durch die Gedenkstätte und das Museum Sachsenhausen (bereits ausgebucht)
Am Samstag, den 16. November, haben wir eine geführte Tour durch die Gedenkstätte und das Museum Sachsenhausen in Oranienburg gebucht. Das Konzentrationslager Sachsenhausen wurde 1936 unter Zwangsarbeit als Protolager durch den SS-Architekten Bernhard Kuiper entworfen. Dies ist einer der Besonderheiten des Konzentrationslagers Sachsenhausen, welches es von anderen Lagerkomplexen unterscheidet. Die Führung wird ca. 2h-3h dauern, sowohl einen Überblick über die Geschichte des KZ Sachsenhausen geben als auch auf weitere Besonderheiten eingehen. An einigen Orten in der Gedenkstätte wird es dabei insbesondere um die Ereignissen und Folgen der Novemberpogrome 1938 sowie um die als jüdisch verfolgten Häftlingen im KZ Sachsenhausen gehen.
Gemeinsamer Anreisepunkt aus Berlin:
Treffpunkt: Ostkreuz um 11:30 auf Gleis 14
Abfahrt: 11:47 RB12 (Richtung Templin)
Treffpunkt an der Gedenkstätte Sachsenhausen: 13:00 vor dem Besucherinformationszentrum.
Bitte zieht euch warme Sachen an und tragt bequeme Schuhe, da die Führung vor allem im offenen Gelände stattfindet. Nehmt euch eventuell auch Essen und Trinken mit.
Die Teilnehmer_innenzahl ist auf 25 Personen begrenzt.
Daher bitten wir euch, um eine kurze Anmeldung unter: antifa-neukoelln@systemli.org
Das Gelände ist barrierearm zugänglich.
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18. November | 18.30 Uhr
Alles wird gut? Fragmente aus dem Leben im KZ
Eine Hommage an die jüdische Hörfunk- und Kinderbuchautorin Ilse Weber, die 1944 in Auschwitz starb.
„Auf Gutes hoffen wir nicht mehr. Das Leben ist für uns unerträglich geworden, wir leben hier fast wie unter Bestien – verzeihen Sie den Ausdruck, ich hoffe, die wirklichen Bestien werden mir ihn auch verzeihen!“
Heidemarie Wiesner (Piano)
WaltrautElvers (Bratsche)
Ila Raven (Gesang & Rezitation)
Lieder, Gedichte, Biografie- und Briefausschnitte aus einer Zeit, von der wir dachten, sie könnte sich NIE wiederholen. Und doch läuten allerorten die Alarmglocken im Angesicht von Ausgrenzung und rechtsradikalen Tendenzen.
Ilse Weber, geboren am 11.1.1903 in Witkowitz bei Mährisch-Ostrau, schreibt bereits im Alter von 14 Jahren. Ihre Gedichte, Lieder, Kindermärchen sowie Theaterstücke werden in deutschen, tschechischen, österreichischen und Schweizer Medien veröffentlicht. 1936 spitzt sich die politische Lage zu. Für die Tschechen ist Weber nun eine Deutsche, für die Deutschen eine Jüdin. 1938 siedelt sie mit ihrem Mann Willi und den beiden Söhnen Hanuß und Tomas nach Prag um. Der achtjährige Hanus wird mit einem Kindertransport nach England verschickt und dann bei Freunden in Schweden untergebracht. 1939 wird Prag besetzt, drei Jahre später wird die Familie nach Theresienstadt deportiert. Hier arbeitet Ilse Weber tagsüber als Schwester im Kinderkrankenhaus, nachts schreibt und komponiert sie, um dem Unbegreiflichen etwas entgegenzusetzen. Weber schildert in ihren Briefen und Gedichten einfach und direkt den Alltag im KZ. Sie beschönigt nichts, klammert sich aber an eine über die Realität hinausreichende Hoffnung: „Auf Gutes hoffen wir nicht mehr. Das Leben ist für uns unerträglich geworden, wir leben hier fast wie unter Bestien -verzeihen Sie den Ausdruck, ich hoffe, die wirklichen Bestien werden mir ihn auch verzeihen!“ Nach Kriegsende gelingt es Ehemann Willy Weber, der schwer krank verschiedene KZs überlebt, 55 Gedichte seiner Frau zu sammeln. Sie wurden aus dem KZ geschmuggelt oder von Holocaust-Überlebenden aus ihrer Erinnerung aufgezeichnet. Die Verse, die Ilse Weber zum Teil selbst vertont und auf der Gitarre begleitet hatte, etliche davon als Trostgesänge für die Kinder auf der von ihr betreuten Kranken-station, besaßen für ihre Mithäftlinge existenzielle Relevanz: „Ich sitze da und hüte ihre Ruh“, heißt es in „Brief an mein Kind“,“ und „jedes Kind ist mir ein Stückchen Du.“ Als die Autorin Ulrike Migdal 1986 eine Anthologie von Chansons und Satiren aus dem KZ Theresienstadt veröffentlicht, darunter „Brief an mein Kind“ mit dem Vermerk „anonym“, erhält sie Post aus Stockholm: „Die Autorin des Gedichts ›Brief an mein Kind‹ ist meine in Auschwitz ermordete Mutter, Ilse Weber. Und ich bin Hanuš, das Kind, um das es in diesem Brief geht.“ Unbeugsam hält Ilse Weber am Glauben an Gott und die Menschlichkeit fest: „Wir dürfen, umgeben von Tod und von Grauen, den Glauben an uns nicht verlieren, wir müssen der Freude Altäre bauen in den düsteren Massenquartieren.“ Selbst die Versöhnung artikuliert sie in ihrem Emigrantenlied: „Denn alles wird gut“. Beim Gang zur Gaskammer soll sie für ihren Sohn Tommy und die anderen Kinder das Wiegenlied WIEGALA gesungen haben. 60 –80 Minuten Lieder, Gedichte, Biografie- und Briefausschnitte: Fragmente einer Zeit, von der wir dachten, sie könnte sich NIE wiederholen. Und doch läuten allerorten die Alarmglocken im Angesicht von Ausgrenzung und rechtsradikalen Tendenzen.
Café Sibylle | Karl-Marx-Allee 72 | 10243 Berlin Friedrichshain